Ein weiterer gotischer Dom soll heute die Serie zu „Gotische Kathedralen – ein Open Data Projekt?“ ergänzen. In Münster in Westfalen finden wir die St.-Lamberti-Kirche am Prinzipalmarkt, die unter anderem berühmt ist wegen der drei Käfige der Wiedertäufer, die heute noch am Turm hängen zur Abschreckung der Gläubigen. Im Dezember 2020 haben es die Wiedertäufer und St. Lamberti sogar in den ARD Tatort aus Münster („Es lebe der König!“) geschafft. Lamberti ist ein wunderschöne, hochgotische Kirche mitten im historischen Stadtkern von Münster.
Inhalt: Geschichte | Lage | Gebäude außen, innen | Ausstattung | Wiedertäufer im 16. Jahrhundert | Dreissigjähriger Krieg – Westfälischer Frieden | Kardinal von Galen | ARD Tatort „Es lebe der König!“ | Open Data?
Geschichte
Der St.-Paulus-Dom in Münster (mit den zwei Vorgängern Domen Ludgerus-Dom, 805–1377 und nördlich vom heutigen Dom der, der 1225-1264 abgerissen wurde) geht auf den heiligen Liudger aus Utrecht in Friesland zurück, der 805 in Münster Bischof wurde, der auch Gründer des Klosters Werden war und der 787 zum Missionsleiter des mittleren Frieslands von König Karl dem Großen ernannt wurde. Liudger gründete dann Kloster und Ludgerus-Dom in Münster (karolingisch). Der zweite Dom wurde ottonisch gestaltet. Das Westwerk (Alter Chor und Türme) dann ab 1192 romanisch (noch erhalten. Von 1225-1264 wurde dann der Paulus Dom als Dritter Dom gotisch gebaut. Das ist das eigentlich katholische Zentrum Münsters, wobei der Name von Monasterium (Kloster) kommt.
Ab 1375 bis 1525 wurde dann finanziert von Münsteraner Kaufleute ein paar hundert Meter weiter die Markt- Bürgerkirche St. Lamberti gebaut. Der Chorbau wurde 1422 fertiggestellt. 1448 folgte die südliche Chorkapelle. Das Hallenlanghaus wurde 1450 fertig. Erst 1525 wurden Kirchenschiff und Chorraum mit spätgotischen Netz- und Sterngewölben eingewölbt.
Nach 1535 mussten die Schäden an der Ausstattung durch die Wiedertäufer (siehe unten) wieder repariert werden.
Lamberti ist eine hochgotische Kirche mit großem Einfluß der konservativen Kölner Bauhütte des Kölner Domes (siehe Blogartikel hier)mit weiteren Spuren aus anderen Häusern wie dem Prager Veitsdom
Ende des 19. Jahrhunderts neigt sich der Westturm wegen zu schwachen Fundamentes und immer mehr Aufbauten. Der alte Turm wurde vollständig abgetragen und ein neuer 1888-1898 ein neuer Turm mit neogotischer Spitze. Die Käfige der getöteten Wiedertäufer (siehe unten) wurden auch an dem neuen Turm übernommen.
Starke Schäden erlitt Lamberti durch den Zweiten Weltkrieg (in Münster waren viele Soldaten stationiert, die ein Ziel für die Bombardierung bildeten), aber die Schäden wurde alle behoben.
Lage
Unweit des St.-Paulus-Domes, finanzierten die Münsteraner Kaufleute eine große gotische Kirche. Dabei steht Lamberti am Kreuzungspunkt der Handelsstraßen von Nord (Friesland, Hanse) nach Süd und von Ost (Osnabrück) nach West (Holland). Am nördlichen Ende des Prinzipalmarktes (Hauptmarkt) fügte sich die Kirche ein in die prächtigen Handelshäuser der reichen Kaufleute siehe Bild unten rechts). Dahinter finden sich Roggenmarkt und Fischmarkt. Daran schließt sich die Salzstraße an, die nicht nur die älteste Handelsstraße ist, sondern auch heute noch belebte Einkaufsstraße ist (siehe Bild unten links). Auch das gotische Rathaus liegt fußläufig neben Lamberti.
Gebäude
Außen
Der Zugang zur St. Lamberti-Kirche erfolgt über das kommerzielle Herz Münster mit Einkaufsstraßen und altern Kaufmannshäusern am Prinzipalmarkt in dessen Nähe auch das gotische Rathaus Steht. Am Turm sind man zwei Eingänge (nota bene: nicht drei), über denen auf der Innenseite die Orgel ist.
Innen
Lamberti ist dreischiffig ohne Querschiff.
Das Hauptschiff mit Orgel im Westen.
Das Hauptschiff zeigt ein spätgotisches Gewölbe. Die drei blauen Mittelfenster im Chor wurden erst 1949/50 entworfen mit „Auferstehung Christi“ links, „Kreuzigung“ Mitte und „Himmelfahrt Christi“ rechts
Das Seitenschiff zeigt einerseits das strenge gotische Format und andererseits die reichhaltige Ausstattung mit Bildern und Skulpturen.
Ausstattung
Der Kircheninnenraum ist mit zahlreichen Kunstschätzen versehen.
Ein steinernes Gesprenge zeigt Christus am Kreuz, der von Maria und Johannes betrauert wird.
Das Triptychon zeigt Szenen aus dem Marienleben und der Kindheit Jesu. Rechts unten findet man z.B. die Hl. Drei Könige.
Die Pietà (trauernde Maria mit totem Jesus) ist wie in vielen Kathedralen zu finden.
An vielen Säulen sind Steinfiguren (Sandstein).
Orgel
Die große Orgel wurde 1989 von der Berliner Firma Karl Schuke gebaut. 53 Register und 3 Manuale wurden von Prof. Ludwig Doerr, Freiburg/Breisgau disponiert.
2004 wurde noch eine Chororgel installiert.
Tonbeispiele auf YouTube: JS Bach Arioso (BWV 156/1056), 1 Mai 2019 Freie Fantasie Dieter Ackermann, Improvisation „Rhapsodie“ – T.A. Nowak (Moderne Musik)
Glocken
Das Geläute von Lamberti hat folgende Hauptglocken
- Lambert-Glocke (tiefes c) 1493 in Kampen/Niederlanden gegossen). Diente als Rats-, Gerichts- und Totenglocke
- Marienglocke (es) 1493
- kleine Katharinen-Glocke (as) 1497
- große Katharinen-Glocke (des) 1619
- Brandglocke (d mit starken Obertönen fis und g) 1594 „Die Fürchterliche bin ich genannt …“ (starker Missklang, zweckentsprechend).
Tonbeispiel auf Youtube: Blechbläser blechgewand(t) mit Glockenspiel 24.08.2019
Wiedertäufer im 16. Jahrhundert
Im Mittelalter waren die Christen auf dem Höhepunkt ihrer Macht mit Kreuzzügen, Inquisition und Hexenverbrennungen. Könige mussten sich von ihnen weihen lassen und sie bauten prächtige gotische Kathedralen, die mit Schätzen reichhaltig ausgestattet waren. Doch gegen Ende des Mittelalters kam es zur Spaltung der Christen in Katholiken und Protestanten. Die Katholiken fröhnten dem Prunk in den Kirchen, Männer kleideten sich in farbigen Gewändern.
Doch Männer wie Martin Luther wollten die Kirche reformieren, katholische Fehlentwicklungen korrigieren und die ursprüngliche evangelische Gestalt wieder herstellen. Statt des Prunks des Papstes und der Brutalität der Dominikaner orientiert man sich lieber an den Franziskanern (zu dem Konflikt siehe auch Umberto Ecos „Der Name der Rose„). Der Streit zwischen Katholiken und Protestanten eskalierte und mündete in den Dreissigjährigen Krieg, der einen Großteil der Bevölkerung Europas tötete. Erst die Säkularisierung durch Napoleon brachte die Christen mehr zur Ruhe (siehe auch meinen Artikel über Notre-Dame de Paris, die seit Napoelon nicht mehr der katholischen Kirche sondern dem französischem Staat gehört.
Neben Abspaltungen von der katholischen Kirche in der Schweiz, in Wittenberg oder Prag übernahmen im katholischen Münster von 1533 bis 1535 die Wiedertäufer die Macht im Stadtrat als radikaler Zweig der Reformation. Sie entmachteten die Kaufleute und den katholischen Klerus. Ursprünglich durften nur Adelige Ratsmitgli9eder werden. Aus der religiösen Reformbewegung entwickelt sich immer mehr die Radikalität. Im Bildersturm wurden in St. Lamberti 1534 Altäre, Heiligenfiguren, Glasfenster und liturgische Geräte von den wütenden Wiedertäufern vernichtet. Wegen des Frauenmangels (vier Frauen auf einen Mann) wurde die Vielweiberei eingeführt. Jan van Leiden, ursprünglich Johann Bockelson und König von Münster (siehe auch im Tatort unten) Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling standen an der Spitze der Bewegung.
Der kaholische Bischof (ab 1532 Bischof von Münster und Osnabrück) Franz von Waldeck, der auch gleichzeitig weltlicher Herrscher war, überfiel Münster militärisch und brachte Münster wieder in katholisches Eigentum. 1225 hatte der Bischof das Recht erworben, den Gografen des Gogerichts (Landgericht) zu ernennen. So wurden die drei Wiedertäufer in Bad Iburg vor Gericht gestellt (nach Befragung und Folter) und vor dem Tor der Iburg zum Tode verurteilt. Manche Quellen sagen, dass sie in Oesede hingerichtet worden seien, andere sagen, es sei am 22. Januar 1536 vor Lamberti passiert in beiden Fällen von Katholiken gegen das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“.
In Käfigen wurden die Leichen der drei Wiedertäufer am alten Turm von Lamberti aufgehängt worden sein is zur vollständigen Verwesen und zur Abschreckung der katholischen Gläubigen hängen sie bis heute dort. Als im 19 Jahrhundert ein neuer Turm gebaut werden musste, wurden die Käfige auch dort wieder aufgehängt.
Am Rande: vor der Wiedereroberung Münsters trafen sich Katholiken zur Beratschlagung in Telgte. Das „Treffen in Telgte“ von Günter Grass sollte ursprünglich in Oesede stattfinden, wo aber die Schweden den Treffpunkt brauchten.
Die Wiedertäufer haben tiefe Risse in der Münsteraner Gesellschaft hinterlassen, die bis heute präsent sind, wie man bis in den ARD Tatort in 2020 sieht (siehe unten) und an den Käfigen an Lamberti. Selbst Annette von Droste-Hülshoff schrieb ein Musikstück „Wiedertäufer, das leider verschollen ist.
Dreissigjähriger Krieg – Westfälischer Frieden
Protestanten und Katholiken verwüsteten Europa von 1618 bis 1648 mit dem Dreissigjährigen Krieg. Einerseits kämpften Religionen gegeneinander, andererseits waren Höfe, Stände, Kaiser, Könige, Adelige verwickelt. Für die Bürger war der Krieg eine Katastrophe und große Teile der Bevölkerung getötet. Mit dem gesamteuropäischen Friedenskongress von Münster und Osnabrück (1641–1648) kam es zum Westfälischen Frieden 1648. In dem gotischen Historischen Rathaus Münster am Prinzipalmarkt nahe Lamberti wurde am 15.5.1648 der Friede von Münster geschlossen, der den Achtzigjährigen Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden beendete.
Auf die Verhandlungen zum Westfälischen Frieden in Münster und Osnabrück nimmt auch das Treffen von Telgte Bezug, das nahe Münster als Treffen von Schriftstellern von Günter Grass beschrieben wird. Telgte liegt an der Stecke zwischen Münster und Osnabrück und war Ausweichort für Oesede wo kaiserliche Truppen stationiert waren.
Die christlichen Kirchen erinnern jedes Jahr am 24. Oktober an die Unterzeichnung des Friedensvertrages im Friedenssaal des Münsteraner Rathauses. 2019 wurde z.B. der Friedensvesper in der St.-Lamberti-Kirche gefeiert.
Kardinal von Galen
„Von 1929 bis 1933 war Clemens August Graf von Galen, der spätere Bischof von Münster und kurzzeitiger Kardinal, Pfarrer der Gemeinde von St. Lamberti. Als Bischof hielt er 1941 zwei seiner drei Predigten gegen die Aktion T4 des NS-Regimes in der Lambertikirche. “ (Wikipedia)
Anders als der Opportunist Pacelli, der mit den Nazis das Konkordat vereinbarte und als Papst Pius XII ohne Widerspruch zuschaute, wie unterem seinem Fenster Juden ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert wurden, machte von Galen immer klare Ansage gegen die Nazis, inbesondere bei der Ermordung von 70.000 Menschen mit körperlichen, seelischen und geistigen Behinderungen. Aufrechte Menschen waren gegen die Nazis, wie auch mein Großonkel, der als katholischer Priester wegen seiner Kritik an den Nazis in KZ Dachau gebracht wurde, das er überlebte.
WDR-Tatort
Am 13. Dezember 2020 hielten dann die Lamberti-Kirche und die Wiedertäufer auch Einzug in den ARD Tatort unter dem Titel „Es lebe der König!„. Im Wasserschloss Lüdecke im Münsterland (fiktiv – tatsächlicher Drehort Schloss Hülchrath in Grevenbroich am Niederrhein) fällt der Burgherr mit schwerer Rüstung an ins Wasser und stirbt. Auf dem Schloss soll kurz darauf das Täuferfest starten, mit dem Investoren für den Erhalt des Schlosses gelockt wird. Auf einer kleinen Bühne ist in der Kulisse ein Abbild der Lamberti-Kirche zu sehen. In den folgenden Ermittlungen sitzt die Staatsanwältin mit einem anderen Staatsanwalt in einem Cafe, aus dessen Fenster man Blick hat auf den Turm der Lambertikirche mit Uhr und Wiedertäuferkäfigen. Kommissar Thiel, Silke „Alberich“ Haller und Professor Boerne streiten sich in der Rechtsmedizin über die Wiedertäufer. Dabei nimmt Boerne eher den „konservativen“ Standpunkt des Münsteraner Establishments ein, während die anderen beiden eher die „revolutionären“ Ansichten der Wiedertäufer favorisieren. Thiel macht die bessere Figur im Disput, wobei sich später herausstellt, dass er von seinem kiffenden Vater, dem Taxifahrer, einen Lektüretip zur Vorbereitung bekommen hatte. Die Erstausstrahlung hatte einen Spitzenwert von 13,60 Millionen Zuschauern. Bis zum 13.6.2021 kann der Film in der ARD-Mediathek angesehen werden: Link zum Film.
Open Data?
Es lohnt sich auch bei Google-Maps einen Blick auf St. Lamberti zu werfen, weil dort viele Bürger ihre Bilder eingestellt haben, ihre Kommentare abgegeben haben sowie Wertungen vorgenommen haben. Außerdem sieht man (mit Zahlen aus Android-Handys), wann die Stoßzeiten in der Kirche sind.
Auch das Beispiel St. Lamberti zeigt, wie schön es sein kann, auf die Dokumentation von großartigen Kunstschätzen einfach online darauf zugreifen zu können. Ich persönlich fände es schön, wenn man exemplarisch für die Gotik ein Open Data Portal schaffen würde, in dem Informationen über alle gotischen Bauwerke in (Deutschland, Frankreich und UK) gesammelt würden und offen einem breiten Publikum und der Forschung zur Verfügung stellen würde, wie ich es schon ausführlich vorschlug.
Bis dahin sagen wir es mit Münsteraner Platt (Nicht Masematte): Gut gehn!“
Literatur
- Grass, Günter: „Das Treffen in Telgte“, 1979. ISBN 978-3-423-11988-7
(Der Roman hat direkt nichts mit Lamberti zu tun, aber er spielt 1647 in Telgte neben Münster zu der Zeit als Zwischen Münster und Osnabrück die Parteien pendelt, um den Westfälischen Frieden von 1648 zu verhandeln. In Telgte konnten sich Schriftsteller treffen, sowohl Figuren von damals als auch von heute, um den Stand und den Fortgang der deutschen Literatur zu diskutieren. - Gruna, Klaus, „St. Lamberti – Münster“, 2009, Verlag Schnell & Steiner, ISBN 978-3-7954-5513-2
- Krewerth, Rainer; Rensing, Dieter, „Münster – Schöne Hauptstadt in Westfalen.“ 1995 ISBN 978-3402060407 https://www.amazon.de/M%C3%BCnster-Hauptstadt-Westfalen-Rainer-Krewerth/dp/340206040X
- Schneider, Robert: „Kristus – Das ungeheure Leben des Jan Beukels“, Roman, 2004, ISBN 3-351-03013-4 https://de.wikipedia.org/wiki/Kristus_(Schneider) Jan Beukels ist Jan van Leiden
Links
Wikipedia: St. Lamberti; Täuferreich von Münster mit Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling ; Clemens August Graf von Galen
Webserver der Kirche
Filme
- Planet Schule: Ausgehungert in Münster (mit Türmerin und anderen über die Wiedertäufer in den Käfigen, ca.15 min, 2017)
Bildnachweise
- Fotos: Wolfgang Ksoll
- Karten: eingebettet von Google Maps
Ende