Mit der Schließung des Bergwerks West (Zeche Friedrich-Heinrich) am 31.12.2012 ist die Geschichte des Steinkohlenbergbaus am linken Niederrhein beendet. Da ich auf allen damals offenen Schachanlagen zwischen 1975 und 1984 dort unter Tage als Hauer gearbeitet habe, ist es Zeit für einen Rückblick. Machen wir also eine kleine Reise vom fernen Schlesien bis zur letzten Kohlenzeche am Niederrhein. Von Zeche zu Zeche.
Hier soll es nicht um Bergtechnik gehen. Das haben die Kollegen in den “weiterführenden Quellen” besser beschrieben. Hier geht es mehr um die Kultur, die durch den Steinkohlenbergbau an den Niederrhein kam und ihn prägte.
“Anton”, sachtä Cervinski für mich.
So hieß es seit 1954, als Taubenvatter Jupp noch Pferdejung auf siebte Sohle war, jeden Samstag in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) und danach über 1.400 mal. Es sind diese Dönekes wie der Niederrheiner sagt, die das Leben besser beschreiben. So werden wir im Folgenden von Zeche zu Zeche springen und “Dönekes vertellen”. Der gehetzte Leser kann hier direkt zu den Kapiteln springen:
Kattowitz | Zollverein|Die Grubenfelder am Niederrhein|Diergardt|Mevissen|Schacht Fritz in Rumeln|Niederberg 3, Moers-Kapellen|Bergwerk Niederberg, Neukirchen-Vluyn | Rheinpreussen, Moers| Pattberg, Moers|Rossenray, Rheinberg|Friedrich-Heinrich, Kamp-Lintfort|Was bleibt für die Tradition?
Wer überhaupt keine Vorstellung von untertägigem Steinkohlenbergbau hat, sollte vielleicht zunächst sich auf Youtube diesen Film ansehen “Männer unter Tage” (6 Minuten):
Kattowitz
Den Ruhrbergbau kann man ohne die Schlesier nicht denken. Schon in den 1920er Jahren kamen viele Bergleute aus dem Osten in das Ruhrgebiet. Man erkennt sie an den für Westfalen, Sauerländer, Rheinländer und Niederrheiner schwer auszuprechenden Namen mit besonderer Liebe zu langen Konsonantenreihungen: Die Gorczewskis, Salewskis, Schikofskys, Ksolls, Gomollas oder Golumbeks. Die Wodgurkas und Moczigembas.
Mein Vater kam aus Chwallowitz, Kreis Rybnik bei Kattowitz, Oberschlesien (wo man sich für Bahnfahrten keine Fahrkahrten nach Gleiwitz kaufen will sondern auf Gleiwitz, weil man nicht das Stück zurück laufen will). Dort gab es eine Zeche derer Henckel von Donnersmarck (ungarisch-stämmige Mischpoke, die als einzige ostelbischen Agrarier frühzeitig die Bedeutung von Industrie und Bergbau erkannten). In Kattowitz gab es auch eine Steigerschule, die mein Vater besuchte.
Nach dem Krieg vertrieben die polnischen Schlesier die deutschen Schlesier. Mein Vater schaffte es bis in das Ruhrgebiet, das sich unter Tage nicht wesentlich von Kattowitz unterschied.
Zollverein
Da aus Oberschlesien das Steigerpatent noch nicht da war, verdingte sich mein Vater in Essen auf der Zeche Zollverein als Hauer in der steilen Lagerung, wie es heute die Skulptur “Steile Lagerung” vom Max Kratz in Essen zeigt. Die Zeche Zollverein kennen wegen des markanten Doppelbockes des Fördergerüstes auch heute noch die meisten Menschen:
Aber in Essen war es damals nicht grün genug. Meinen Vater zog es ins Grüne, in die Idylle des Niederrheines. Ein Bild wie das des Schachtes Fritz in Rumeln schwebte ihm vor:
Da gelangte er auch hin. Dazu später.
Die Grubenfelder am Niederrhein
Unter dem ganzen Niederrhein ist Steinkohle bis zur südlichen Grenze Tönisvorst-Kapellen-Kaldenhausen-Rumeln-Rheinhausen (Grubenfelder Süddeutschland-Fritz-Mevissen-Diergardt). Im Süden ist es feinste Hausbrandkohle (zum Beispiel aus den Flözen Mausegatt (Mächtigkeit oft nur 50 cm) oder Finefrau (Mächtigkeit eher 1 bis 1,2 m). Nach Norden neigt sich das Karbon ab (unter der Nordsee ist es dann bei -4000 m), so dass die hochinkohlten Flöze immer tiefer zu finden sind und darüber weniger stark inkohlte, jüngere Kokskohlenflöze zu finden sind. Im Norden liegt bei Borth sogar eine Salzpfanne darüber, die bauwürdig ist. Darüber liegt dann Sand.
Macht man einen senkrechten Schnitt durch das Gebirge, so kann man Schicht für Schicht darstellen, wie es sich vor über 200 Mio. Jahren lang abgelagert hat:
Die Abbildung zeigt die Flöze im Ruhrkarbon. Die oberen Flöze sind jünger, die unteren älter und damit stärker inkohlt, so dass sie sich gut für Hausbrand eignen.
Mit Google Maps habe ich eine kleine Karte gemacht, auf der die alten Standorte der Zechen markiert ist. Klickt man die Markierungen findet man im Popup-Menü auch Links auf den jeweiligen Wikipedia-Artikel.
Die Karte Bergbau am linken Niederrhein auf einer größeren Karte anzeigen
Für die Google-Earth-Freaks, die auch den Artikel “Gotik und Google – ein Dreamtem” gelesen haben, sei gesagt, dass man auch an dieser Karte wieder eine KML-Datein exportieren kann, die man in Google Earth importieren kann, um zu erforschen, wie es heute dort aus sieht, wo die Zechen waren.
Diergardt, Rheinhausen
Die östlichste Zeche am linken Niederrhein war Diergardt. Das Luftbild zeigt im Vordergrund Diergardt, im Hintergund rechts die Rheinhausener Rheinbrücke, die in den 1970er Jahren berühmt wurde wegen der Streiks anlässlich der Schliessung der Kruppschen Stahlwerke in Rheinhausen (Fried.-Krupp-Hüttenwerke). Links hinten sieht man im Duisburger Kernland (Rheinhausen und Rumeln kamen erst 1975 zu Duisburg im Rahmen einer kommunalen Neuordnung) die Duisburger Kupferhütte und das Thyssen Walzwerk. So wie man sich eben früher das Ruhrgebiet vorstellte.
Zu Diergardt habe ich keinen familiären Bezug. Außer einem Foto von 1953, als es unter Tage brannte. Der Horror für den Bergmann.
Mevissen, Rheinhausen
Mevissen war der erste Schritt meines Vaters ins gelobte Land an den Niederrhein zu den Wiesen, Weiden (die Bäume) und schwarzbunten Kühen. Hier wohnte ich auch in der Zechensiedlung am Schauenplatz/Bergheim in meinem ersten Lebensjahr, nachdem ich in Homberg/Niederrhein geboren war.
Mevissen expandierte seine Aktivitäten unter Tage und nutzte als Material- und Seilfahrtsschacht den Schacht Fritz in Rumeln sowie auch einen Wetterschacht in Kaldenhausen. Für den Schlesier hieß das wie für den Amerikaner: Go West!
Schacht Fritz in Rumeln
Der Schacht Fritz in Rumeln musste nach dem Krieg wieder neu aufgebaut werden, da ihn die Wehrmacht gesprengt hatten. Die militärischen Gefechte am Niederrhein habe ich in dem Artikel über den Xantener Dom beschrieben. Dann aber wurde mit Marshallplan-Gelder auch eine Zechensiedlung gebaut, in die wir 1957 einzogen (und meine Mutter bis zu ihrem Tode in 2010 insgesamt 53 Jahre dort lebte). Das Bild oben aus den 1950er Jahren zeigt das Fördergerüst und die übertägigen Anlagen. In der Mitte sind Baracken zu sehen, die einerseits eine öffentliche Kantine beherbergten und andererseits den ersten Gastarbeitern als Unterkunft dienten. Im Vordergrund wird gerade das Erdgeschoss eines Hauses in der Glückaufstraße (Früher Adalbertstraße, Wernerstraße und Glückaufstraße) gebaut.
Zu diesen Wohnungen gehörten für Bergleute standesgemäß Gärten und Ställe für Ziegen, Schweine, Hühner und Tauben. Diese Gartenidylle ist typisch für das Ruhrgebiet, die die Bilder aus den 1970er Jahren zeigen:
1973 wurde Mevissen und damit auch Rumeln stillgelegt und viele Bergleute gingen in “Anpassung” (also faktisch in Rente zwischen 50 und 55 Jahren). Aber schon 1975 ging es in der Familie weiter mit Bergbau. Ich machte mich auf Wanderschaft durch die Gruben des Niederrheins, wie die Auszüge aus meinem Bergmannsbuch zeigen:
Aus purer Neugier ging ich nach dem Gymnasium in den Bergbau, weil ich wissen wollte, wie mein Umfeld sein Geld verdiente. Das wurde eine etwas längere Episode.
Niederberg 3, Moers-Kapellen
(Von Niederberg 3, Pattberg und Rossenray habe ich leider keine gemeinfreien Bilder gefunden. Für Hinweise wäre ich dankbar, so dass ich sie nachtragen kann. Bis dahin machst Du “Google Bilder Niederberg Schacht3” usw.).
Am 17.2.1975 verfuhr ich meine erste Schicht unter Tage auf dem Bergwerk Niederberg Schacht 3 in Moers-Kapellen mit der Markennummer 6588. Vier Kilometer von zu Hause. In den ersten vier Wochen schickte mich mein Reviersteiger zum Muskelaufbau auf den Bahnhof auf der zweiten Sohle, wo ich Pfeilerhölzer von Bahnloren auf die Wannen an der Einschienenhängebahn umlud. Es war ein nasskalter Winter, so dass sich die Holzschwellen oben auf dem Materialplatz voll Wasser sogen und meinen Muskelaufbau als ehemaliger Pennäler beschleunigte.
Danach kam ich in die Gewinnung ins Revier. Mein Hauer, der auf mich Neubergmann aufpasste, hieß Rudi. Er kam aus dem Erzgebirge von der SDAG Wismut Aue. Dort wurde für das russische Atombombenprogramm Uran abgebaut unter strengster russischer Aufsicht. Es war ein Gangerzbergbau. Rudi erzählte mir, dass er im Südwester Ölzeug im Gang stand, mit dem Bohrhammer nach oben bohrte und das aus dem Gebirge kommende Wasser ihn ständig nass hielt. Dafür gab es aber Sonderrationen Milch und Schnaps wegen der Radioaktivität des Erzes. Zudem konnten unzuverlässige Bürger ohne Parteiempfehlung sich durch mehrjährige Verpflichtung unter Tage doch noch einen Studienplatz in diesem sozialistischen Paradies erarbeiten.
Jahre später las ich das Buch Rummelplatz von Walter Bräuning. Zum einen hatte der sich durch Knochemaloche als Arbeiterautor qualifiziert und durfte später an die Hochschule von Halle. Als seine Werke wegen sanfter Kritik am sozialistischen Alltag verboten wurde, soff er sich zu Tode. Was für mich aber noch faszinierender war, dass in der Wismut AG unter Tage die selbe Sprache wie unter Tage am Niederrhein gesprochen wurde, die selben Begriffe. Offenbar sind Bergleute resistent gegen tagesaktuelle Poltikmoden.
Der folgende Grubenriss zeigt nun, wie wir uns nördlich von Kapellen City in den Bauhöhen 210, 209, 208 usw. unter dem Acker durch Flöz Finefrau fraßen. Immer in über 200 m langen Streben, die 2.000 m lang die Kohle abräumten.
Für die Kapellener eine kleine Übungsaufgabe: auf dem Grubenriss sieht man deutlich den Schacht 3, den Nordpfeil und den Maßstab. Man kann sich leicht ausrechnen, dass die Bauhöhe 210 unter dem Acker rechts der Krefelder Straße ist, wenn man Nordnordwest aus Kapellen Richtung Neukirchen hinaus fährt. Dann kann man auch ausrechnen, wann wir unter der Siedlung waren
In der Gewinnung machte ich dann alles, was man da so machen kann: An den Strebrändern arbeiten, die Maschinenrücken, im Streb den hydraulischen Schildausbau rücken, Hobelbegleiter sein (dem Hobelfahrer aus dem Streb Signale geben, wie er hobeln sollte), natrülich auch nach alter Väter Sitte mit dem Abbauhammer Kohle machen, von Hand Holz- und Hydraulikstempel setzen, also alles, was den Body wohldefiniert shapet, wie man heute in der Muckiebude sagt. Ich habe auch auch Hobel gefahren (sitzend im Leitstand) oder Einschienenhängebahn mit Dieselkatze (Bilder gibt es hier).
Das nächste Bild zeigt eine typische niederrheinische Gewinnungsmannschaft: Links Yussuf aus der Türkei, der am Strebrand die Maschinen rückte. In der Mitte Boro aus Kroatien, der Ortsältester (Vorarbeiter), Grubenwehrmann (deswegen der silberne Helm) und Hobelbegleiter war.
Rechts das bin ich. Man sieht noch die Staubschutzmaske herunter hängen und die Knieschützer. Flöz Finefrau war meist niedriger als 1,20 m, oft auch nur 60-80 cm und wenn es hart kam nur 55 cm, so dass der hydraulische Ausbau sich einklemmte und wir ihn mit Sprengstoff frei schießen mussten. Das ist nicht jedermanns Sache, in 55 cm Höhe (abzüglich Eisenkappe des Ausbaus und Gestänge unten) mit einem 120 dB lauten Bohrhammer im Liegen mit einer 30 cm langen Bohrstange zu bohren, wo es so niedrig ist, dass man den Filterselbstretter und den Lampenakku zur Seite schieben muss, weil es sonst zu eng ist. Manche bekommen dabei Platzangst. Ich damals nicht.
Zum sozialen Leben muss noch was gesagt werden. Im Mittelalter (im Harz und Erzgebirge) arbeiteten die Hauer als selbständige Unternehmer. Ihr Gezähe (Werkzeug) musste sie selbst beschaffen. Sie wurden nach Leistung (Tonnen) bezahlt. In den 1950er Jahren arbeitetet die Hauer als Arbeiter im Gedinge (Akkord) und wurden einzeln nach Metern/Tonnen bezahlt. In Revieren mit Hobeln oder Schrämmaschinen macht man üblicherweise ein Kameradschaftsgedinge (Prämienleistungslohn), d.h. alle bekommen 120% vom Lohn der Lohngruppe, wenn die mit der Werkleitung vereinbarten Meter/Tonnen kommen.
Nirgendwo anders über Tage habe ich eine solchen sozialen Zusammenanhang erlebte wie unter Tage. Obwohl das Gedinge drückte, so dass in der Regel auch viel Schweiß während der Arbeit floss, war sonnenklar, dass wenn einer ausfiel, die anderen die Arbeit mitmachten. Die Meter mussten kommen. Das ging so weit, dass man Betrunkene aus dem Verkehr zog, aktiv still legte, damit sie nicht sich und die Kollegen gefährdeten. Trotz der Mehrarbeit bekamen dann alle ihren Gedingelohn. Man konnte sich auch streiten, auch laut, auch unter Androhung von Prügel (übrigens soll der Hauer nach der Bergpolizeiverordnung von 1934 das Recht gehabt haben, “notfalls auch zu züchtigen”). Aber wenn Gefahr drohte für Leib und Leben, gab es keine Diskussion. Das ging auch so weit, dass man untereinander die Qualitätssicherung der Arbeit der anderen machte, ganz einfach weil das eigene Leben davon abhing.
Bergwerk Niederberg, Neukirchen-Vluyn
Schon 1857 begann man die Schächte 1 und 2 des Bergwerks Niederberg abzuteufen. Die Geschichte des Bergwerks Niederberg ist mit zahlreichen Bildern gut dokumentiert von Josef Schröder.
Rheinpreußen, Moers
Rheinpreußen war die älteste Schachanlage am Niederrhein. Zunächst waren die Ruhrbarone davon ausgegangen, dass es links des Rheines keine Kohle gäbe. Doch 1854 stieß Franz Haniel, ein Kaufmann aus Ruhrort, in 175 m Teufe auf Kohle. Förderbeginn war erst 1884, aber der Niederrhein entwickelte sich dann schnell. Ein Eisenbahnnetz wurde aufgespannt, in Rheinhausen stellte Krupp Hochöfen auf, um die auf dem Rhein herangebrachten Erze mit Kohle vom Niederrhein zu Stahl werden zu lassen.
Dieses Bild zeigt die Ansicht von der alten Bundesstraße 57 aus. So sah ich sie als Kind immer. In den 1960er Jahren mit wachsendem Wohlstand und eigenem Auto entwickelte sich der Kult des Spazierenfahrens: Hülser Berg, Oertmer Berg, Hähnchen essen im Lamershof, Reichswald, Venlo, Xanten, Borth (da war nicht nur Salz, sondern auch ein Auto-Händler, wo wir unseren NSU Prinz 4 und Prinz 1000 kauften. Heute mache ich PRINCE2, aber das ist was anderes , zum Schluss oft noch in den Moerser Stadtpark und bei Wilbers Eis essen.
Unter Tage war ich auf Rheinpreußen im Streckenvortrieb. Wir fuhren
4,20 m breite Strecke in deutschem Türstock aus Stahlprofilen auf. Von Hand: d.h. Bohren, sprengen, Hangendes sichern, schaufeln, Stempel setzen, nächste Runde. Einmal trugen wir in der 6 m breiten Maschinennische mit 6 Hauern eine 6 m lange Stahlkappe über das frisch gesprengte Haufwerk, um die Kappe quer aufzulegen. Da meinte das Hangende auf 6 m Breite, drei Meter Tiefe und vielleicht 80 cm Dicke herab brechen zu wollen. Genau dahin, wo wir mit unseren Fingern hin mussten. Mehrere Tonnen Stein wollten auf uns nieder fallen. Wir sprangen wie wir konnten und holten uns zum Glück nur ein paar Schrammen. Von da ab war mir noch klarer, warum in manchen bergmännischen Bereichen nur Erwachsene älter als 21 Jahre arbeiten dürfen. Insbesondere beim Rauben, also wenn man Ausbau wegnimmt und der Berg sich den Raum zurückholt.
Pattberg, Moers
Auf dem Bergwerk Pattberg war ich mehrfach. Über Tage, um mein Praktikum in Tagesanlagen (Aufbereitung, Wäsche sowie Verwaltung) zu machen. Unter Tage war ich irgendwo auf der 650 m Sohle. Dort mauerte ich zum ersten Mal in meinem Leben. Eine Einfassung für einen Deckel eines Pumpensumpfes am Schacht, über den jeden Tag viele hundert Hauer laufen mussten. Ein Jahr später kam ich dort wieder vorbei und war mächtig stolz, dass mein Mauerwerk die tauenden von Menschen ausgehalten hatte. Die Mauer stand wie die Wacht am Rhein!
Eine Zeit lang arbeitete ich in einem maschinellen Streckenvortrieb im Flöz Präsident in einem Drittel (Kolonne), in der ich der einzige Nichttürke war. Aber die Kollegen waren tolerant und sprachen mit mir Deutsch, weil mein Türkisch Scheiße war.
Rossenray, Rheinberg
Auf dem Bergwerk Rossenray war ich während meiner Pattbergtätigkeit, weil Rossenray, Pattberg und Rheinpreussen zu dem Verbundbergwerk Rheinland zusammengefasst waren.
Was in Wikipedia nicht erwähnt ist, ist die Leibrente. Als Rossenray 1969 in die Ruhrkohle AG eingebracht wurde, versprach man dem Krupp-Erben Arndt von Bohlen und Halbach als früherem Eigentümer “eine Förderabgabe in Höhe von 2,5 Prozent des Erlöses der aus den Kohlenfeldern Rossenray und Rheinberg geförderten Kohle“. Das machte damals 1,2 Mio DM im Jahr aus. Mit ein wenig Einschränkung konnte er damit einen angemessenen Lebensstandard grundsichern. Als die Hauer dann muckten, weil sie sich nicht den Rücken krumm machen wollten, damit ein Playboy in München die Illustrierten mit illustren Storys vollmachte, unterließ die Ruhrkohle AG die Zahlungen und die Fried. Krupp Hüttenwerke AG übernahm die Rente, also Berthold Beitz.
Friedrich-Heinrich, Kamp-Lintfort
Bleibt noch das Bergwerk Friedrich Heinrich (modern Bergwerk West genannt mit Resten von Niederberg und Rheinland). Der Name geht auf den Vornamen des Freiherrn von Diergardt zurück. Auch hier habe ich Ferienarbeit gemacht, ich glaube auf der 780-m-Sohle.
Während des Studiums machte ich mir bei der Ferienarbeit den Spaß, alle Kohlenbergwerke am linken Niederrhein kennenzulernen. Nach dem Motto:
- Wie lange brauche ich, um mit 10.000 neuen Kollegen zurecht zu kommen?
- Wie lange brauche ich, um alleine wieder aus dem Grubengebäude heraus zu finden?
Es ist dank der Kollegialität (und früher sagte man auch Kameradschaft) unter Tage sehr gut machbar. Aber am Niederrhein ist Schluss damit. Schicht am Schacht. Die Bergleute am Niederrhein machen das durch, was die Saarländer auch durchmachten.
Die Saarbrücker Zeitung hat in einer Sonderbeilage zum Ende des Bergbaus an der Saar im Juli 2012 den Menschen in der Region einen würdigen Abschied gegeben. Der Kohlebergbau passt in einer Zeit der Gefahr der Erderwärmung nicht mehr zu uns. In Ostfriesland ist die Hälfte der Arbeitslosigkeit abgebaut worden durch den Aufwuchs alternativer Energietechnologie. Bergleute sind es gewohnt, dass kein Bergwerk für die Ewigkeit ist, weil irgendwann die Lagerstätte erschöpft wird. Dennoch darf man auch den hundertausenden von Bürgern, deren leben durch den Bergbau geprägt war, eine Fläche für die Trauer beim Abschied geben. Ich finde es gut, wenn erwachsene Männer sich im Saarland offen trauen zu flennen, wie es die Saarbrücker Zeitung dokumentiert hat.
Im Oktober 2012 haben sich Interessierte zu einer Veranstaltung “1. Tag des Bergmannes” in Kamp-Lintfort vor der Zeche getroffen. “Das Steigerlied mit Tränen” schrieb die WAZ. Ich persönlich hätte es schöner gefunden, zwischen Weihnachten und Neujahr was zu machen, da dann mehr Leute auch aus der Ferne Gelegenheit gehabt hätten, daran teil zu nehmen. Aber gut, is so. Deckel drauf auf den Pütt. Fertig.
Was bleibt für die Tradition? Hinter der Hacke ist es duster?
Wir wissen aus den Traditionsgebieten des Bergbaus wie dem Harz und dem Erzgebirge, der Lausitz und dem Saarland, dass bergmännische Tradition hartnäckig ist. Selbst in Leipzig beginnt Herbert Gröhnemeyer sein Bochum zunächst mit dem Steigerlied.
Hier wird es jetzt ernst und andächtig. Es wird das Steigerlied gesungen. Im Internet findet man viele schöne Interpretationen dieses Liedes. Mir persönlich gefällt die vom Chor der Ruhrkohle AG am Besten. Wer genau hin hört, hört auch die westfälischen Einschläge des Chores, die leicht auf Sauerländische und westfälische Zunge hindeuten. Wer mitsingen möchte findet hinten den Text.
Das Steigerlied nach Wikipedia:
Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt.
|: Und er hat sein helles Licht bei der Nacht, :|
|: schon angezündt’ :|
Schon angezündt’! Das gibt ein Schein,
|: und damit so fahren wir bei der Nacht, :|
|: ins Bergwerk ein :|
Ins Bergwerk ein, wo die Bergleut’ sein,
|: die da graben das Silber und das Gold bei der Nacht, :|
|: aus Felsgestein :|
Der Eine gräbt das Silber, der and’re gräbt das Gold,
|: doch dem schwarzbraunen Mägdelein, bei der Nacht, :|
|: dem sein wir hold :|
Ade, nun ade! Lieb’ Schätzelein!
|: Und da drunten in dem tiefen finst’ren Schacht, bei der Nacht, :|
|: da denk’ ich dein :|
Und kehr ich heim, zum Schätzelein,
|: dann erschallet des Bergmanns Gruß bei der Nacht, :|
|: Glück auf, Glück auf! :|
Die Bergmann’s Leut sein’s kreuzbrave Leut,
|: denn sie tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht :|
|: und saufen Schnaps :|
Danach kann nichts mehr kommen.
Glückauf!
Danach kann nichts mehr kommen? Quatsch. Das war nur die Stelle, wo man ein frisches Taschentuch holen kann. Natürlich geht es weiter. Bergwerke sind immer ein Projekt auf Zeit bis die Lagerstätte ausgebeutet ist. Das war schon bei den Römern in den Alpen so, bei den Fuggern, die Bergwerke finanzierten und Münzen betrieben, im Harz und im Erzgebirge, im Rheinland und in der Lausitz, überall. Jetzt hat der Niederrhein fertig.
Jetzt machen wir eine Energiewende. Eine richtige. Nicht so ein Tango (oder Eiertanz wie der Niederrheiner sagt): Raus-Rein-Raus aus wie bei der Kernenergie. Nein, das Rein-Raus-Spiel machen wir wo anders. Richtige Energiewende (englisch energytransition): Sonne, Wind, Wasser, alles erneuerbare. Das schafft viele Arbeitsplätze. In Ostfriesland wurde durch die Windenergie die Arbeitslosigkeit von 20% auf 10% herunter gebracht. Auch in der klassischen Industrie wie dem Maschinenbau entstehen neue Arbeitsplätze. Selbst die altehrwürdigen Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) sind schon in der Nordsee vor Borkum Riff mit ihren Windmühlen. Wir brauchen uns nur noch eine Regierung zu wählen, die auch Leitungen bauen lässt, um die Windkraftwerke ins deutsche Netz einspeisen zu lassen, anstatt nur die Bürger Pönalen zu lassen, wenn RWE liefern kann, aber die Leitungen nicht fertig sind. Ob der Bergmann mit der Hacke in den Berg oder mit dem Finger in die Tastatur hackt, ist letztlich egal!
Wenn jemand Ergänzungen, Kommentare oder Änderungsvorschläge hat, kann er das gleich ins Kommentarfeld hacken oder mir eine Mail schicken: wk@wolfgang-ksoll.de
Zum Schluss möchte ich mich noch bei allen Kollegen bedanken, die mir in meinen Bergbaujahren immer geholfen haben, sicher aus den Gruben wieder ans Tageslicht zu kommen. Glückauf!
Weiterführende Quellen
- Klaus Hardelauf: Bergbau am linken Niederrhein
- Seite über das ehemalige Bergwerk Niederberg
- 100 Jahre Steinkohlebergbau in Kamp-Linfort
- Rheinhausener Bergbausammlung e.V.
- www.foerdergerueste.de im Ruhrbergbau
- Das große Bergmanns-ABC des Knappenverein Tecklenburger Land e.V.
- Bergknappen-Verein Penzberg OB e.V.
- Ring Deutscher Bergingenieure, Bezirksverein Recklinghausen
- Knappenverein Schägel & Eisen, Bochum-Stiepel / Dorf 1884
- kohlenpott.org – Industriefotografie
- Ruhrzechenaus.de
- Drehscheibe-Foren
- Schachtzeichen.de
- Glueckauf-ruhrgebiet.de
- Pro-bergbau.de
Bildnachweise
- Eigener Bestand: Steigerschule in Kattowitz, Zechensiedlung Rumeln, Bergmannsbuch, Risswerk Flöz Finefrau, Flöz Finefrau
- Zeche Zollverein: Thomas Robbin nach Wikipedia
- Friedrich Heinrich: Beide Bilder von C. Peukert nach Wikipedia
- Niederberg: Gemeinfrei nach Wikipedia
- Unbekannte Quellen: Zeche Diergardt, Zeche Mevissen
- Schacht Fritz Rumeln: Historisches Rumeln. Video CD. Bilder von Alt-Rumeln. Zusammengestellt für den Weihnachtsmarkt der evangelischen Kirchengemeinde Rumeln-Kaldenhausen. 2006. Unbekannter Verfasser.
- Flöze im Ruhrkarbon: K. Oberste-Brink: Der heutige Stand der geologischen Erforschung des Ruhrkohlenbezirks. 1953.